6.-10.6.12: Auf den Weg in den Nordosten

Nach vier Tagen ohne Reisetagebuch schreiben sitze ich nun entspannt bei einem Glas Tinto de Verano (im Raum Valéncia auch Sangria genannt) im Jakl. Mittlerweile sind wir deutlich in den Norden der Mittelmeerküste gerückt: Wir stehen direkt am Strand der Halbinsel, die durch das Ebrodelta gebildet wird, also etwa 180 Kilometer südlich von Barcelona. Umgeben von Reisfeldern, die uns schon seit etwas südlich von Valéncia begleiten, ist es hier in der Ebene geboten, die Türen abends zu schließen, denn es wimmelt nur so von Mücken. Von Tieren gewimmelt hat es zuletzt in Javea, wo wir am felsigen Strand kaum einen „badefähigen“ Zugang finden konnten, da überall Seeigel waren. Leider hat Plato nicht gehorcht und so landete er mitten auf unzähligen Seeigeln; mit der Folge hat er nun, nach fünf Tagen, immer noch zu kämpfen: Er leckt sich zu jeder Gelegenheit die Pfoten. Leider sehen wir das Übel, wohl eben einige abgebrochene Seeigeldornen, bei den dunklen Pfoten nicht und können ihm nicht helfen. Er läuft ganz normal, dennoch scheint es ihn zu schmerzen. Trotz der „Langzeitfolge“, die „wir“ in Javea davongetragen haben, war es ein schöner Stopp. Felsen und Steine hatten wir bisher eigentlich noch gar nicht und für die Männer am besten war an dieser Felsküste die Möglichkeit, Salz zu ernten: An einigen Stellen entstanden in Felskulen kleinen Salinen, in denen man prima Salz abschöpfen konnte. So kommt es, dass wir mit sicherlich sechs Kilo selbst geerntetem Meersalz nach Hause kommen. „Das reicht bestimmt bis zum nächsten Urlaub!“, meint Leopold. Für zwei, drei Stunden finden wir dann doch noch ein ganz schönes Plätzchen zum Baden. Eigentlich sind auch hier keine Hunde erlaubt (wie überall an den Mittelmeerstränden), aber auf das Verbot pfeifen wir, denn schließlich ist hier bei all den Kieseln, Felsen und schroffen Zugängen fast nichts los. Gegen 17 Uhr bewegen wir uns vorbei an einigen Villen Richtung Schnellstraße, die uns nach 85 Kilometern ungeplant nach Cullera bringt. Cullera fällt auf durch seinen riesigen Felsen, auf dem in weißer Farbe der Stadtname geschrieben steht und auf dem ein Castell gebaut wurde. Ansonsten ist das Städtchen für unseren Geschmack hässlich: Wieder einmal, wie so oft am Mittelmeer, ist der Strand gesäumt von zum Teil baufälligen, aber zumindest durchgängig reizlosen und unschönen Hochhäusern, bei denen zahlreiche Wohnungen zu verkaufen sind. Wir bleiben aber doch hängen, denn der Strand ist großartig feinsandig, breit, lang und mit etwas Wellengang versehen. Wir lassen unseren Blick einfach zum Meer hinaus schweifen und vermeiden die Ansicht entlang der Küste, denn die Pseudo-Manhatten-Skyline brauchen wir nicht. Wir wandeln auf der Promenade und die Kinder toben nach dem späten Mittagsschlaf im Auto mit viel Energie neben uns her. Viel ist hier wirklich nicht los, immerhin haben wir schon den 6. Juni. Es ist zwar tatsächlich noch nicht Hauptsaison, aber auch für die Vorsaison sind hier wenig Menschen unterwegs. Es dämmert, als wir zum Auto zurückkehren, denn wir haben uns natürlich schon längst dazu entschieden, morgen diesen tollen Strand ausprobieren zu müssen. Leider darf Plato hier nicht mit, also müssen wir uns etwas einfallen lassen. Zunächst parken wir gleich hinter der Promenade in der letzten Ecke und verleben eine sehr ruhige Nacht. Oft waren die Nächte in letzter Zeit unruhig: Mal waren es Hunde, mal Autos, mal Menschen. Aber heute ist es ruhig. Am nächsten Morgen entdecken wir, dass unsere Straße gar keine Sackgasse - wie in der Dunkelheit gedacht - ist, sondern als Feldweg hinter den Bambusbüschen weiterführt. Perfekt für uns, wir folgen ihr und stehen nun direkt am „wilden“ Strand in den Dünen, hier gibt es keine Bebauung und der Strand ist nicht mehr so „kultiviert“. Also wagen wir es auch, Plato mit vor zum Baden zu nehmen. Schließlich sind wir hier fast die einzigen Menschen, abgesehen von jenen die wie narrisch des Morgens den Strand auf und ab spazieren, joggen, walken oder eher kugeln. („Warum rennen die denn alle wie irr den Strand auf und ab? – O-Ton Klaus.) Nach freudigem Toben im Wasser liegt Hunderl dann auch brav schlafend neben uns – als zwei männliche „Baywatchnixen“ uns dann doch auf das „Perro no“ an der Playa hinweisen. Mpf, naja, die Herrschaften waren wenigstens einigermaßen freundlich, also darf Wuffi zurück zum Jakl und dort im Schatten unterm Auto liegen, wo er sich ja merkbar daheim fühlt. Zwar haben wir hier wirklich den perfekten Stellplatz (wir stehen auf einem alten Hausfundament unmittelbar hinter der ersten Stranddüne) und fahren sogar an unserem zweiten Tag in Cullera mit den Rädern auf die Promenade vor, aber dennoch treibt es uns irgendwie weiter. Wir wollen uns nun doch kontinuierlich der Heimat nähern und desto näher wir an Barcelona kommen, umso mehr fühle ich mich persönlich schon fast daheim. Schließlich haben wir nun schon über 7000 Kilometer hinter uns, da sind weniger wie 2000 ja wirklich schon nah an der Heimat… Wir genießen nach wie vor unseren langen Urlaub mit allem, was dazu gehört – baden, sonnen, Sightseeing, essen gehen, flanieren, nichts tun, lang schlafen … - dennoch merken wir, wie es langsam reicht und wir des Reisens überdrüssig werden. Gerade die Kinder fangen immer häufiger Sätze mit „Wenn wir wieder daheim sind..“ an und machen schon Termine mit ihren Freunden aus. Auch unsere persönliche „Wieder-Daheim-To-Do-Liste“ wird immer größer. Schließlich haben wir auch ein normales Leben jenseits von Autobahnen, Spritkosten, Wassertank füllen und den besten Strand finden. Entsprechend ist die Laune zuletzt auch immer mal wieder etwas abgekippt, aber wir finden immer wieder zueinander und erleben Schönes. Aurelia wartet zuletzt mit den Sätzen auf „Heute bin ich ganz vernünftig.“ oder ein echter Brüller: „Das hier sind lauter Spanier. Die reden alle spanisch, nur wir reden normal.“ Leopold ist in Momenten von hohem Sachinhalt sehr „groß“ und vernünftig (z.B. beim Salzsammeln, wandern oder wenn er Klaus hilft), jedoch in „unorganisierten“ Zeiten, die natürlich allzu oft vorherrschen, sehr aufgedreht und frech. Aurelia greift das gerne auf und pusht… und so wird es zeitweilig schon sehr anstrengend, um die beiden, die ständig zusammenhängen (was machen eigentlich Einzelkinder??), zu bändigen. Leopold braucht nun die Schule, das ist ganz klar und die Zeiten werden sich sehr ändern. Unsere letzten drei Wochen on Tour möchte ich daher noch sehr genießen, denn diese Freiheit werden wir erst mal nicht mehr haben, wenn Leopold an die Ferienzeiten gebunden ist… Jedenfalls verlassen wir Cullera nach einer Brotzeit, um wenig später um 17 Uhr in Valéncia einzutrudeln. Das erste Mal kreisen wir im Stadtkern auf der Suche nach einem Parkplatz relativ lang, werden aber doch nach einer annehmbaren halben Stunde direkt vor der alten Post, eine echte Sehenswürdigkeit, fündig. Leopold hatte sich ins Bett verkrochen und muss schlaftrunken aufgeweckt werden. Schließlich wollen wir doch heute endlich, in der Geburtsstadt der Paella, dieses leckere Reisgericht essen gehen. Unser Spaziergang durch diese wunderschöne Stadt dauert doch bis hinein in die Dunkelheit, so dass wir uns dazu durchringen, direkt hier in der Stadt zu übernachten. Ich bin wenig begeistert, da dies natürlich bei all dem Lärm von Menschen (es ist Freitag Abend), Autos und Kirchturmuhren natürlich nur wenig bzw. einen schlechten Schlaf bedeutet. Auch Plato muss im Auto schlafen, was für ihn viel Gehechel und für mich obendrauf unruhigen Nachtruhe heraufbeschwört. Aber nun gut, dafür können wir gleich morgen in der Markthalle einkaufen gehen und das samstägliche Morgengeschehen in Augenschein nehmen. Das ist natürlich auch schön, in einer wunderschönen spanischen Stadt bei bestem Sommerwetter zu erwachen. So wird das dann auch gemacht: Die Markhalle ist wie aus dem Bilderbuch, alles wuselt. Es kaufen Köche gleich ganze Schubkarren von frischem Fleisch, Fisch und Gemüse, aber natürlich wird auch hier und da ein bisschen etwas verkauft. Hier ein kleiner Fruchtcocktail, da ein süßes Bäckerteilchen, hier ein paar Kirschen, da ein schöne Nussmischung. Die Metzgerstände beeindrucken die Kinder, es liegen neben den altbekannten Hühnchen auch Hasen und ganze Bullenschenkel in den Vitrinen. Ein letzteres Exemplar lacht uns so an, dass wir es für Plato mitnehmen. Die Verkäuferin schaut ganz ungläubig, als wir ihr klar machen, dass wir ihn ganz und nicht in Teilen wollen. Plato wird sein Glück abends kaum fassen können. Stundenlang knabbert er daran herum, bis er nach Einbruch der Dunkelheit regelrecht erschöpft von „seiner Beute“ ablässt. Tausende Fliegen und Mücken machen sich später über den „Kadaver“ her… Das Geschehen in der Markthalle ist irgendwie belebend, wir sind guter Laune und voller Tatendrang. Wir setzen uns vor der Halle in ein Café und beobachten amüsant das Publikum. Zahlreiche afrikanische Verkäufer bieten gleich daneben ihre Fälscherware feil. Ich verhandle mit einem über eine Sonnenbrille, da er aber nicht nachgibt, wird es nichts aus einem Geschäft. Bevor wir den Traum einer Stadt wieder verlassen, spazieren wir noch im trockenen Flussbett des Rio Túria, der die Stadt zehn Kilometer halbkreisförmig umgibt und nach der Flutkatastrophe von 1957 als Park angelegt wurde. Um 15 Uhr geht es weiter, wir wollen zum Ebrodelta, an dem nun diese Zeilen entstehen. Es ist also der 9. Juni und wir geben bei schlechterem, d.h. bewölktem, Wetter Gas. Es flutscht, denn es herrscht erschöpfte Schlafruhe im fahrbaren Untersatz und wir landen nach 223 Kilometern an diesem wunderbaren Fleckchen, dem Strand von Riumar. Allerdings sind wir gar nicht recht begeistert, als wir in den Ort hineinfahren, denn gleich am Ortseingang steht, dass Hunde am Strand und auch Wohnmobile nicht gestattet sind. Na super. Wie man sich denken kann, hält uns das nicht ab. Aber lieber wäre mir schon gewesen, nicht gleich zu Beginn auf solche Verbotsschilder zu stoßen. Später stellt sich heraus, dass viele Gleichgesinnte das Verbot einfach ignorieren, denn wir treffen unendlich viele Hunde und auch ein paar Wohnmobile an vorderster Strandlinie an. Wir kommen so an, dass wir nur noch essen wollen und dann müde ins Bett fallen. Eine Befürchtung haben wir: Dass das heiße Wetter vorbei ist, denn wir kramen zum abendlichen Spaziergang unsere Fleecejacken raus, denn es weht ein kühler, starker Wind. Das kennen wir nicht mehr seit der Costa de la Luz und da es auch etwas bewölkt ist, befürchten wir Kühle. Gott sei Dank ist unsere Angst vor „Kälte“ morgens unbegründet, denn draußen scheint schon morgens wieder kräftig die Sonne und über den Wind, der stetig stärker wird, sind wir eher froh als betrübt. Morgen am 11. Juni werden wir trotzdem dieses hübsche Fleckchen Erde verlassen. Wahrscheinlich ist das Ziel Tarragona. Dort haben wir auch eine Campingplatzempfehlung. Ob wir wirklich je auf einem selbigen landen werden? Eigentlich unvorstellbar nach zehn Wochen, autarkem, kostenlosem „Stellplatzleben“…

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